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Feigenblatt-Diversity – so wird Vielfalt in zahlreichen Organisationen „gelebt“

Als Weltumseglerin weiß ich aus eigener Erfahrung: Für einen anspruchsvollen Segeltörn würde ein Skipper sich niemals eine Crew zusammenstellen, bei der alle Mitglieder gleicher Herkunft sind, ähnliche Ausbildungen haben und über identische Fähigkeiten verfügen. Doch in vielen Unternehmen begegnet uns genau das. Schmidt und Schmidtchen gesellen sich gern. Als Leadership- und Diversity-Expertin finde ich das erschreckend.

Natürlich hat heute jede Organisation eine Diversity-Strategie, auch oft direkt eine passende Beauftragte dazu – übrigens fast immer eine Frau. Aber im „echten Leben“ findet wenig Diversity statt. An den entscheidenden Positionen sitzen sehr ähnliche Menschen. Egal ob Vorstände, Wissenschaftsgremien, Expertenrunden oder Podien wichtiger Veranstaltungen: echt divers würde anders aussehen als das, was wir da serviert bekommen.

Woran es liegt? Ganz einfach: Diversity wird nicht richtig ernst genommen, nicht wirklich verstanden und dementsprechend auch nicht konsequent umgesetzt. Statt dessen gibt eine „Feigenblatt-Diversity“. Hübsche Broschüren, nette Worte auf der Website, einige Vorzeigefrauen und dazu passende „bei-uns-kann-jeder-alles-erreichen-Geschichten“.

Das ist wirklich enttäuschend, jedoch leider nicht ganz überraschend. Kennst Du die beiden elementaren Grundregeln vieler Firmen und Organisationen? Erstens: Das haben wir schon immer so gemacht, das machen wir auch weiter so. Zweitens: Das haben wir noch nie so gemacht, das werden wir auch in Zukunft nicht tun. Hört sich altmodisch an, ganz nach 90ern und Kordanzügen. Ist aber leider erschreckend aktuell – trotz VUCA-Welt, trotz Corona, trotz Klimawandel und allen anderen Veränderungen, die uns begleiten.

Nichts ist stetiger als der Wandel.

Wir müssen also anders denken, Dinge in Frage stellen, uns immer wieder neu erfinden, Disruption vorantreiben und vor Innovationskraft nur so strotzen. Warum? Weil wir nur mit absoluter Sicherheit vorhersagen können, dass wir nichts mehr mit absoluter Sicherheit vorhersagen können.

Wenn Du immer schön darauf wartest, dass sich die Rahmenbedingungen verändern, und Dich dann in Ruhe den Neuerungen anpassen willst, dann hast Du sehr schnell verloren. Du wirst ganz einfach abgehängt, von der Zukunft oder von der Konkurrenz, oder von beiden zusammen.

Wie lernt man neues Denken?

Kannst Du Dir und Deiner Organisation das sogenannte „out-of-the-box Denken“ einfach so verordnen? Ja, das geht. Das Zauberwort heißt Diversity. Diversity ist ein oft falsch verstandener und fehlinterpretierter Begriff. Es geht es nicht nur um Frauenförderung um der Frauen willen, oder um Multikulti als Antwort auf globale Märkte. Das sind nur kleine Teilaspekte im großen Themenfeld der Diversity.

Was also ist der große, der elementare Vorteil einer Organisation, die Vielfalt pflegt und aktiv fördert? Es ist die Fähigkeit, eine Fülle an Perspektiven gleichzeitig zuzulassen – und damit im Blick zu haben.

Jeder Mensch hat eine individuelle Sicht auf die Welt, ich habe meine und Du hast Deine. Sie wird geprägt durch Deine Erziehung, Deine Ausbildung und Deine Erfahrungen. Je ähnlicher das Umfeld, in dem wir aufwachsen und lernen, desto ähnlicher auch unsere Erfahrungen. Und je ähnlicher unsere Erfahrungen, desto ähnlicher unser Blick auf die Welt.

Wenn Du Deinen Blick erweitern willst und neue, andersartige Sichtweisen kennenlernen möchtest, dann gelingt Dir das nur, indem Du Dich mit Menschen austauschst, die anders denken, anders hingucken, andere handeln und ganz andere Erfahrungsschätze mitbringen. Und genau da setzt Diversity an.

Diversity heißt, Deinen Horizont zu erweitern.

Wenn eine junge Ingenieurin, ein erfahrener Verkaufsleiter und eine kreative Designerin gemeinsam an einer Fragestellung arbeiten, dann wird dabei ein anderes Ergebnis erzielt, als wenn drei Männer der gleichen beruflichen Herkunft und etwa des gleichen Alters daran arbeiten.

Die Vielfalt der Sichtweisen und Erfahrungen wird sich auswirken. Der Prozess, zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen, wird im heterogenen Team mit ziemlicher Sicherheit aufwändiger und anstrengender für die Beteiligten. Aber das Ergebnis wird auf einem deutlich breiteren Erfahrungsschatz beruhen. Und damit deutlich besser Stand halten.

Wenn Du Diversity ernst nimmst und wirklich leben willst, fernab aller Feigenblatt-Aktivitäten, dann musst Du Dich permanent auseinandersetzen. Mit anderen Menschen, mit anderen Sichtweisen, mit anderen Berufsgruppen, mit anderen kulturellen und sozialen Hintergründen. Und das kostet Kraft.

Denn dabei musst Du Deine Ideen, Dein Verständnis von der Welt und Deine ach so lieb gewonnene, eigene Meinungen immer wieder hinterfragen. Das macht keinen Spaß.

„Ich habe Recht“ fühlt sich einfach besser an als „Ich weiß nicht, ob ich Recht habe“. Aber genau diese Haltung braucht es. Das Infragestellen Deiner eigenen Meinung und das aktive Einholen anderer Sichtweisen ist es, was Diversity ausmacht. Damit werden Teams kreativ, Ergebnisse innovativ und Organisationen agil und zukunftsfähig.

Erfolg heißt, Deine eigene Komfortzone immer wieder zu erweitern.

In vielen Unternehmen wurde über Jahrzehnte rekrutiert nach dem Motto: „Gleich und gleich gesellt sich gern.“ Und so finden sich heute in den Führungsriegen, in den Vertriebsmannschaften oder auch in den Entwicklungsabteilungen sehr homogene Mitarbeiterschaften. Hier erfordert es Mut, neue Wege zu beschreiten. In der Personalauswahl, aber auch bei der Hinzuziehung externer Berater muss ein Umdenken stattfinden. Statt der Haltung: „Passt gut zu uns, ist wie wir“ sollte eher der Grundsatz Oberhand gewinnen: „Denkt ganz anders als wir, kann uns bereichern“.

Ist das einfach? Nein, ist es nicht. Denn die eigene Komfortzone hindert Dich daran, bewusst nach Andersartigkeit Ausschau zu halten. Du magst das, was Du kennst. Doch nur außerhalb Deiner Komfortzone machst Du neue Lernerfahrungen.

Agilität ist der Gewinn, von dem alle profitieren.

Der Weg lohnt sich nicht nur, er ist (fast) alternativlos. Oder glaubst Du wirklich, es werden irgendwann wieder „ruhige Zeiten“ kommen? Flexibilität, Agilität und die Fähigkeit, auf vielfältige Herausforderungen vielfältige Antworten zu finden, das gelingt nur mit gelebter Diversity. Denn gerade in stürmischen Zeiten ist die heterogene Crew genau das, was es braucht, um den nächsten Hafen sicher zu erreichen.

Stefanie Voss mit Stift

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